Jahreskonferenz 2025 in Nürnberg
Am Anfang stand die Idee, die Jahrestagung 2025 dem antifaschistischen Widerstand zu widmen – zu alarmierend waren damals und bleiben bis jetzt die Wahlergebnisse und Umfragen, die befürchten lassen, dass die in Teilen als gesichert rechtsextrem einzustufende Partei AfD regional und bundesweit nennenswerten politischen Einfluss erhält. Was können die Theater dazu beitragen, diesen Trend umzukehren? Und wie bereiten sie sich zugleich auf immer mehr Angriffe von rechts vor? Schon jetzt versucht die AfD, politischen Einfluss auf Programme, auf Personalplanung, auf Budgetierung und Existenz von Kultureinrichtungen zu nehmen. Wie leisten wir Widerstand und üben Solidarität, auch wenn wir (noch) nicht betroffen sind? How to „resist“ - im Sinne der wehrhaften Demokratie?
Wenn wir heute über antifaschistischen Widerstand sprechen, können wir über die Vergangenheit und ihre Aufarbeitung nicht schweigen – so kam „remember“ in den Titel der Tagung. Erinnerungskulturen aber sind heute politischer als jemals, und das spätestens seit dem 7. Oktober 2023 in mehrdimensionaler Hinsicht.
Zwar muss der Anspruch, möglichst viele oder gar alle Perspektiven auf dieses Thema und zu Gehör zu bringen, ganz sicher scheitern – aber der Diskurs darüber, wie wir uns einer komplizierten und schmerzhaften Vergangenheit gemeinsam stellen können, ohne uns gegenseitig zu bekämpfen, ist unerlässlich. Wie wird multiperspektivisches Erinnern solidarisch?
Und schließlich sind wir, nicht nur am Theater, tagtäglich mit Repräsentationspolitik beschäftigt – „represent“ schließt also das Dreieck, um das es dieses Jahr in Nürnberg gehen wird. Welcher Ort könnte dafür geeigneter sein, uns auch die Fragen nach Verortung und historischer Verantwortung von Kultureinrichtungen zu stellen? Danach, was die Vergangenheit der Theaterbetriebe mit ihrer Gegenwart zu tun hat – und auch, was wir eigentlich wissen, über die Kontinuitäten und Brüche der historischen Entwicklungen?
In Nürnberg wurden 1935 die „Nürnberger Rassengesetze“ verabschiedet, hier befindet sich bis heute das sogenannte „Reichsparteitagsgelände“, auf dem von 1933 bis 1938 die Reichsparteitage der NSDAP abgehalten wurden, hier fanden zwischen dem 20. November 1945 und dem 14. April 1949 die Nürnberger Prozesse statt. Die Stadt Nürnberg arbeitet seit Jahren daran, die Schwere dieser Vergangenheit mit Engagement für Demokratie und Menschenrechte aufzuwiegen.
Wir sind daher außerordentlich froh und dankbar, dass das Staatstheater Nürnberg als gastgebendes Haus seine Räume und seine Expertise zur Verfügung stellt und wir mit der Stadt Nürnberg, insbesondere der Stabsstelle Ehemaliges Reichsparteitagsgelände/Zeppelintribüne und Zeppelinfeld, dem Festival Musik Installationen Nürnberg und der Tafelhalle gleich mehrere starke Kooperationspartner vor Ort finden konnten. Und darüber, dass die Akademie für Theater und Digitalität Dortmund, die Heinrich-Böll-Stiftung, das Deutsche Zentrum des Internationalen Theaterinstituts (ITI) und die Körber-Stiftung sich als zusätzliche Kooperationspartner auf das Thema eingelassen haben, dass der Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien erstmals eine dg-Tagung fördert sowie auch der Deutsche Bühnenverein mit seinem Landesverband Bayern und dem Landesbühnenausschuss. Die langjährigen Partnerschaften mit dem Verband Deutscher Bühnen- und Medienverlage und dem Kleist-Forum Frankfurt/O. nicht zu vergessen. Alle diese Kooperationspartner*innen haben das Programm der diesjährigen Tagung mit ihrer Expertise unterstützt und inspiriert.
Also: Wie erinnern wir uns, wie leisten wir Widerstand und wie findet beides in den Theatern, auf den Bühnen statt?
Das „Versöhnungstheater“ (Max Czollek) bundesdeutscher Provenienz steht zu Recht in der Kritik, als eine Form der Erinnerungspolitik, die zuwenig „an einer Gegenwart mitarbeitet, in der Minderheiten weniger gefährdet sind als zuvor“, wie Max Czollek in seinem Buch schreibt, und weiter: „Es braucht ein verändertes Verständnis dafür, wofür die deutsche Vergangenheit eigentlich da ist – nicht als Ressource für eine demokratische plurale Gegenwart, sondern als Warnung davor wie schlimm die Dinge werden können, wenn wir nicht aufpassen. Wenn wir das verstehen, verstehen wir auch, was auf dem Spiel steht: dass wir mit der Vergangenheit nämlich auch die Zukunft dieser Gesellschaft verhandeln.“ („Versöhnungstheater“)
Aber welcher Vergangenheit gedenken wir eigentlich – und wie? Wem gilt das Gedenken, die Trauer, die Aufarbeitung – und wem bisher nicht? Wie können und müssten Kunst und Theater an einer Kultur der Multiperspektivität einerseits, aber auch an einer entschiedenen antifaschistischen, antirassistischen und gegen Antisemitismus einstehenden Haltung mitarbeiten?
Braucht es noch mehr Aktivismus in der Kunst? Und wie sollte oder könnte dieser aussehen, ohne dabei große Teile eines bereits bestehenden Publikums auszugrenzen oder in folgenlose aktivistische Folklore zu verfallen?
Wenn Theater „Erfahrungsräume der Demokratie“ (Harald Wolff) sind – wie gehen wir dann um mit Meinungen, die in diesen Räumen Demokratie in Frage stellen?
Das Programm der Jahrestagung 2025 versucht, all diesen Fragen und einem komplexen Themenfeld Raum zu geben, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Wir wollen uns in Solidarität (und Ambiguitätstoleranz) üben, unsere Haltungen überprüfen und Impulse geben.
Längst sind die Bühnen des Erinnerns und des Politischen vor allem auch in digitalen Räumen verortet: Hier wird Erinnerungspolitik gemacht, werden Bilder eines zukünftigen Erinnerns produziert und findet politische Radikalisierung, aber potenziell auch Aufklärung und Bildung statt. Digitale Medien und neue Technologien laden zu neuen Formen der Erinnerung und Zugängen zur Geschichte ein und machen Aktivismus unter neuen Vorzeichen notwendig. In Zusammenarbeit mit der Akademie für Theater und Digitalität Dortmund und dem eCommemoration Programm der Körber-Stiftung widmen wir den veränderten Bedingungen nach dem Digital Turn einen Schwerpunkt.
Wir, der Vorstand zusammen mit den Kooperationspartner*innen, hoffen, gemeinsamen mit den Tagungsteilnehmer*innen die Lücken zu füllen, die sicherlich auch in diesem Programm entstehen.
Die Jahrestagungen der dg sind seit vielen Jahren Treffpunkt und Plattform nicht nur für Dramaturg*innen sondern Theatermacher*innen aller Berufsgruppen sowie Studierende und interessiertes Publikum und wollen ihren Tagungsteilnehmer*innen inhaltliche Impulse und Möglichkeiten des Austausches zu relevanten, oft politischen Themen geben. Dieses Jahr hoffen wir, über die Tagung hinaus sowohl neue Netzwerke für zukünftige Allianzen zu stiften als auch konkretes politisches Engagement zu inspirieren, aber vor allem: uns alle zu stärken, für eine Zukunft, die so komplex und herausfordernd wird, wie die Vergangenheit und Gegenwart.
Wir freuen uns sehr darauf, Euch in Nürnberg zu treffen!
Der Vorstand der DG:
Antigone Akgün, Kathrin Bieligk, Kerstin Grübmeyer (Stellv. Vorsitzende), Esther Holland-Merten (Vorsitzende), Jasmin Maghames, Michael von zur Mühlen, Beata Anna Schmutz
mit Raffaela Phannavong (Leitung der Geschäftsstelle) und Jana Thiele (Geschäftsführerin)